You will be redirected to the website of our parent company, Schönherr Rechtsanwälte GmbH: www.schoenherr.eu
Mit dem Einheitlichen Patentgericht wird es ab 2023 möglich sein, europäische Einheitspatente in den meisten EU-Staaten in einem Verfahren durchzusetzen – oder zu bekämpfen
Nach jahrzehntelangem Hin und Her ist es ab dem nächsten Jahr so weit: Mit 1. April 2023 soll das Einheitliche Patentgericht seine Arbeit aufnehmen. Dann wird es möglich sein, für europäische Patente einheitliche Wirkung in einem großen Teil der EU zu erlangen und diese in einem einzigen Verfahren über die Landesgrenzen hinweg durchzusetzen. Dieses "Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung" (Einheitspatent) ist in seinem Grundkonzept vergleichbar mit den bereits seit Jahrzehnten etablierten Unionsmarken (EU-Marke) und Gemeinschaftsgeschmacksmustern (EU-Designs). Es handelt sich aber auch um eine Weiterentwicklung des Europäischen Patents, also des etablierten Systems, über das schon bislang in zahlreichen Staaten in der EU und darüber hin aus Patentschutz erlangt werden kann.
Frage: Was ist der Unterschied zum Europäischen Patent?
Antwort: Das "klassische" Europäische Patent ist im Wesentlichen eine Anmeldeerleichterung;_es erlaubt ein zentrales Prüfungs- und Einspruchsverfahren beim Europäischen Patentamt. Mit Erteilung begründet es aber jeweils voneinander unabhängige nationale Patentrechte in den vom Anmelder benannten Staaten. Diese nationalen Patente sind dann vor den nationalen Gerichten durchzusetzen und vor den nationalen Gerichten oder Patentämtern anzufechten. Demgegenüber schafft das Einheitspatent eine einheitliche Wirkung in allen Mitgliedsstaaten des Einheitspatents. Mit einem einzigen Antrag kann damit vergleichsweise kostengünstig Patentschutz in zunächst 17 und später bis zu 25 EU-Mitgliedsstaaten erlangt werden. Das ist nicht nur für etablierte Technologieplayer mit großen Patentportfolios interessant, sondern auch für Start-ups.
Das Erteilungsverfahren basiert auf der Europäischen Patentübereinkunft und läuft daher nach dem bisherigen Muster ab. Nach der Erteilung eines Europäischen Patents kann der Anmelder aber nun einen Antrag auf einheitliche Wirkung in allen teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten stellen;_zusätzlicher Schutz in weiteren Staaten der Patentübereinkunft ist parallel weiterhin möglich. Dieses Patent kann dann in allen teilnehmenden Staaten in einem Verfahren durchgesetzt, aber auch über ein einziges Löschungsverfahren angefochten werden.
Frage: Warum gilt das Einheitspatent nicht in der gesamten EU?
Antwort: Dies liegt im Wesentlichen daran, dass Spanien an diesem System, das zunächst als EU-Instrument gedacht war, nicht teilnehmen will,_ja sogar dagegen opponierte. Dazu kommt, dass Kroatien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Übereinkommens noch nicht EU-Mitglied war;_eine Entscheidung über eine Teilnahme steht noch aus. Da das System nur EU-Mitgliedsstaaten offen steht, reduzierte sich die Anzahl der Teilnehmerstaaten mit dem Brexit auf 25. Letztlich trieb eine "Koalition der Willigen" innerhalb der EU das Projekt voran und einigte sich auf das Abkommen zum Einheitlichen Patentgericht. Dabei handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der von allen Teilnehmerstaaten unterzeichnet und ratifiziert werden muss, bevor er im jeweiligen Staat Wirkung entfalten kann. Bislang haben 17 Staaten ratifiziert – auch Österreich.
Frage: Wie funktioniert die Durchsetzung des Patentschutzes?
Antwort: Bemerkenswert ist das Konzept einer einheitlichen Gerichtsbarkeit durch das neue Einheitliche Patentgericht: Im bereits bekannten System des Unionsmarkenrechts werden nationale Gerichte in den EU-Mitgliedsstaaten als Unionsmarkengerichte tätig. So ist in Österreich eine Klage wegen Verletzung einer EU-weit gültigen Unionsmarke beim Handelsgericht Wien einzureichen. Das Verfahren folgt dann im Wesentlichen nationalem Prozessrecht. Das bedeutet, dass ein Verfahren vor einem spanischen Unionsmarkengericht ganz anders aufgebaut sein kann als ein Verfahren in Österreich oder Rumänien.
Klagen aus oder gegen Einheitspatente sind hingegen vor dem Einheitlichen Patentgericht zu führen. Dabei handelt es sich um ein durch ein internationales Abkommen eingerichtetes eigenes Gericht, das einheitliches Prozessrecht und eine eigene Verfahrensordnung anwendet und dessen Richterinnen und Richter einem eigenen Bestellungsprozess unterliegen. Die Entscheidungen dieses Gerichts sind dann in wie Entscheidungen nationaler Gerichte in allen EU-Mitgliedsstaaten – und darüber hinaus – vollstreckbar.
Frage: Wo ist das Einheitliche Patentgericht angesiedelt?
Antwort: Es handelt sich beim Einheitlichen Patentgericht zwar formal um ein einziges Gericht. Dieses ist aber in verschiedene Kammern unterteilt, die sich durch Sitz und Zuständigkeit unterscheiden. So wird es eine Zentralkammer in Paris mit einer Außenstelle in München geben;_eine geplante zweite Außenstelle in London ist dem Brexit zum Opfer gefallen. Die Zentralkammer ist vor allem für Nichtigkeitsklagen gegen erteilte Patente zuständig. Verletzungsverfahren sind hingegen zunächst vor regionalen Kammern zu führen, die über die Teilnehmerstaaten verteilt sind – eine wird etwa in Wien eingerichtet. Das für Berufungen aus allen Kammern zuständige Berufungsgericht hat seinen Sitz in Luxemburg.
Frage: Für welche Patente ist das Einheitliche Gericht zuständig?
Antwort: Es ist jedenfalls zuständig für Verfahren aus und gegen die neuen Einheitspatente. Darüber hinaus wird es standardmäßig auch für Klagen aus und gegen europäische Patente ohne einheitliche Wirkung, die in den Teilnehmerstaaten geschützt sind, zuständig sein – also "klassische" europäische Patente. Inhaber dieser Patente haben aber die Möglichkeit, zunächst für sieben Jahre aus der Gerichtsbarkeit des Einheitlichen Patentgerichts heraus zu optieren – etwa aus taktischen Erwägungen, um das Patentportfolio nicht zentral anfechtbar zu machen oder um abzuwarten, wie sich das neue Gerichtssystem bewährt. Anträge hierfür können innerhalb der voraussichtlich am 1. 1. 2023 beginnenden dreimonatigen "Sunrise-Phase" gestellt werden. Ein späteres neuerliches "Hineinoptieren" in die Zuständigkeit des Patentgerichts ist grundsätzlich möglich, aber nur solange zwischenzeitlich keine Verfahren in Bezug auf die konkreten Patente anhängig gemacht wurden. Patentinhaber sollten daher überlegen, ob ein rasches Herausoptieren strategische Vorteile bringen könnte.
(Michael Woller, 24.11.2022)
Michael
Woller
Partner
austria vienna