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28 April 2022
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Wenn der Naturschutz dem Klima schadet

Bei der Bewilligung von Windparks und anderen Energiewendeprojekten erweisen sich der EU-Artenschutz sowie der Erhalt des Landschaftsbildes häufig als Hürden

Seit Beginn des Ukraine-Krieges wurden die Rufe nach einem beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung nochmals lauter. Die Ziele sind klar: Bis 2030 möchte Österreich seinen Energiebedarf bei Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen, bis 2040 überhaupt "klimaneutral" sein. Gleichzeitig wird propagiert, dass Klimaschutz im Einklang mit dem Naturschutz funktionieren kann und soll. In der Praxis ist dies schwer umsetzbar, denn jedes Projekt bewirkt Eingriffe in die Natur.

Naturschutzrecht ist in Österreich Sache der Bundesländer. Weite Teile des Gebiets- und Artenschutzes werden allerdings durch das Unionsrecht vorgegeben. So gehen auch etliche "österreichische" Naturschutzerfolge der letzten Jahrzehnte, etwa die Rückkehr von Wolf, Bär, Bartgeier oder Seeadler, maßgeblich auf die europäische Flora-Fauna-Habitat-(FFH-)Richtlinie und die Vogelschutz-Richtlinie (VS-RL) zurück.

Über das Ziel hinaus

In einigen Fällen schießen jedoch sowohl der unionsrechtliche Artenschutz als auch das nationale Naturschutzrecht über das Ziel hinaus: Nach FFH- und VS-RL sind nicht nur die Populationen gefährdeter Arten geschützt, sondern vielfach – wie etwa hinsichtlich des Verbots absichtlicher Tötungen – jedes einzelne Individuum.

Dieser individuenbezogene Ansatz geht darauf zurück, dass beide Richtlinien ursprünglich zum Ziel hatten, verpönte Jagdmethoden europaweit zu beschränken bzw. zu verbieten. Seitdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) unterstellt hat, dass auch das bloße Inkaufnehmen von Tötungen unter den Begriff "absichtliche Tötung" fällt, wird dieses Verbot auch in Genehmigungsverfahren angewendet.

Und: Laut EuGH unterliegen alle – auch nicht gefährdete – Vogelarten ("Allerweltsarten"), deren Populationen sich eines hervorragenden Erhaltungszustands erfreuen, dem strengen Artenschutzregime.

Nicht auszuschließen

Damit gehen Probleme einher: Selbst wenn bei einem Windparkprojekt alle erdenklichen und aufwendigen Vermeidungsmaßnahmen wie etwa Vogelradare und Abschaltalgorithmen umgesetzt werden, ist nicht restlos auszuschließen, dass während der Lebensdauer des Windparks von 30 Jahren ein Vogel oder eine Fledermaus durch Kollision mit einem Windrad zu Schaden kommt.

Ebenso schwierig wird es, wenn im Vorhabensbereich eines Energiewendeprojekts geschützte Käfer- oder Ameisenarten vorkommen und in der Bauphase einzelne Individuen zu Schaden kommen könnten.

In Österreich und Deutschland wird mittels "Signifikanzschwellen" versucht, eine gewisse Verhältnismäßigkeit bei der Auslegung der Verbotstatbestände zu wahren: Demnach ist das Tötungsverbot dann nicht verletzt, wenn das natürliche Tötungsrisiko eines Individuums durch das Projekt – auch in Zusammenwirkung mit anderen Projekten – gegenüber dem natürlichen Tötungsrisiko nicht signifikant erhöht wird. Auch dieser Ansatz steht allerdings aufgrund jüngster Entscheidungen auf der Kippe.

Probates Mittel

Der individuenbezogene Ansatz der FFH- und der VS-RL war ein probates Mittel zur Eindämmung verpönter Jagdmethoden. Dass derzeit in Projektgenehmigungsverfahren diskutiert werden muss, ob das Tötungsrisiko einzelner Exemplare einer "Allerweltsvogelart" oder einer geschützten Käferart der Umsetzung dringend benötigter erneuerbarer Energieprojekte entgegensteht, ist jedoch unverhältnismäßig.

Für Projektgenehmigungsverfahren braucht es einen neuen Ansatz, der neben dem Artenschutz auch dem Klimaschutz Rechnung trägt. Ideen dafür gäbe es genug: So könnte man statt des individuen- einen populationsbezogenen Ansatz verfolgen und je nach Erhaltungszustand der Population differenzieren.

Bei Beibehaltung des individuenbezogenen Ansatzes müsste das natürliche Lebensrisiko als Maßstab dienen. Schließlich wäre auch eine Lockerung der strengen und derzeit kaum angewendeten Ausnahmebestimmungen für Energiewendeprojekte denkbar. Bei alldem ist neben der Rechtsprechung primär der europäische Gesetzgeber gefordert.

Nicht unsichtbar

Ob es uns gefällt oder nicht: Energiewendeprojekte sind nicht unsichtbar. Um einem "Wildwuchs" entgegenzuwirken, gehen die Bundesländer dazu über, diese Projekte nur in bestimmten Zonen zu gestatten. Diese Zonenausweisung erfordert eine sogenannte Strategische Umweltprüfung.

Trotz dieser Umweltprüfung kann das Landschaftsbild im Genehmigungsverfahren in diesen Zonen immer noch zu einem Stolperstein werden. Gerade die Beurteilung des Landschaftsbildes ist oft umstritten und wird – von Projektwerbern und -gegnern gleichermaßen – als subjektiv empfunden. Zumindest in jenen Fällen, in denen bereits auf raumplanerischer Ebene Umweltprüfungen stattgefunden haben, sollte das Genehmigungskriterium "Landschaftsbild" bei Energiewendeprojekten dringend überdacht, vereinfacht bzw. vereinheitlicht werden.

Ein massiver Schub für Energiewendeprojekte ist erforderlich, um die Klima- und Energieziele erreichen zu können. Dabei steht außer Frage, dass der Erhalt geschützter Arten und der Schutz des Landschaftsbildes wichtige Kriterien sind. Das Naturschutzrecht darf aber nicht zum Verhinderer der Energiewende verkommen – Klimaschutz ist Naturschutz und umgekehrt.

 

Christoph Cudlik und Benjamin Schlatter sind Rechtsanwälte bei Schönherr. Sie sind auf öffentliches Recht mit Schwerpunkt Umwelt- und Energierecht spezialisiert.

Article was first published in DerStandard on 28.04.2022
authors: Christoph Cudlik and Benjamin Schlatter

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