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Der Fall der siebenjährigen Jang Nayeon beschäftigte vor einiger Zeit die Medien und Juristen - bislang aber mit wenig bis keinen Konsequenzen. Das siebenjährige Mädchen war unerwartet an einer Krankheit verstorben, und nach drei Jahren Trauerzeit, die das Haus der südkoreanischen Familie in eine Art Gedenkort für das Kind verwandelt hatte, machte ein heimischer Fernsehsender der Mutter ein Angebot: Aus den Bildern und Videos des Kindes eine virtuelle Realität (VR) zusammenzustellen, die es der Mutter ermöglichte, mit einer VR[1]Ausstattung ihr Kind noch einmal in die Arme zu nehmen und sich zu verabschieden. Anfang der 2020er-Jahre verbreitete sich diese herzzerreißende Szene über YouTube und führte bei vielen Zuschauern zu zwei völlig gegensätzlichen Fragen: Die eine lautete „Wie kann ich das auch mit meinen liebsten Verstorbenen machen?“ und die andere „Wie kann ich verhindern, dass das mit mir gemacht wird, wenn ich tot bin?“.
Heute, fünf Jahr später, etabliert sich die sogenannte „After-Lifeoder Eternal-Life-Industry“ immer stärker, bisher noch vornehmlich im asiatischen Raum. Aber wie bei allen virtuellen oder auch nur digitalen Medien ist die geografische Lage von untergeordneter Bedeutung, wenn jemand an dem Produkt Interesse zeigt. Marktforschungsinstitute schätzen den Wert des Marktes heuer zwischen 20 und 40 Milliarden US-Dollar, bis 2030 werden sogar dreistellige Milliardenbeträge prognostiziert. Was allerdings noch fehlt, ist eine entsprechende Rechtsprechung dazu, wie Günther Leissler, Partner bei Schönherr Rechtsanwälte und Fachautor bei LexisNexis, aufzeigt. „Die Situation, was passiert, wenn man nach dem Tod eine virtuelle Person entstehen lässt, kennt unser Erbrecht gar nicht“, so der Datenschutz- und Medienrechts-Experte, dessen Publikationen bei LexisNexis neben dem Erbrecht auch Bereiche wie Compliance sowie KI umfassen. Derzeit haben manche Erben sogar noch ihre liebe Not, lediglich die Accounts des Verstorbenen in den sozialen Medien rechtlich wie organisatorisch zu verwalten. So zeigt eine Studie des Passwort-Unternehmens NordPass aus dem Vorjahr auf, dass lediglich 36 Prozent der gängigen Online-Plattformen Informationen zur Schließung der Konten von Verstorbenen angeben und teilweise bis zu 20 Dokumente nötig sind, um die Löschung entsprechender Konten durchsetzen zu können. Bei 75 der Plattformen werden diese frühestens nach zwei Jahren gelöscht, und lediglich bei sechs Prozent besteht die Möglichkeit, die Konten der Verstorbenen in einen Gedenkzustand versetzen zu können.
Was vom organisatorischen Aufwand her mühsam genug sein kann, zumindest rechtlich kristallisieren sich aber immer gängigere Methoden heraus, wie man mit dem digitalen Weiterleben von Verstorbenen umgehen kann. „Grundsätzlich gehen Rechtsbeziehungen, die man beispielsweise mit Facebook hat, auf den Erben über“, erklärt Notar Philipp Nierlich von nhp Notare und Fachautor bei LexisNexis. Die Frage, die man sich dabei rechtzeitig stellen solle, sei, ob man Kinder oder Enkel dann alle Nachrichten sehen können. Wer das nicht möchte, muss sich bei den jeweiligen Diensten schlau machen, ob und wie sich diese Konten nach dem Ableben löschen lassen, „oder einen Freund damit beauftragen, nach dem Tod alles zu löschen“, so Nierlich. Wofür dieser Freund dann alle Passwörter haben sollte und möglichst rechtlichen Beistand hinzuziehen sollte. Denn ein gewisser Graubereich bleibt auch in diesem Fall, da in vielen AGB enthalten ist, dass nur der Kontoinhaber selbst beziehungsweise dessen Rechtsnachfolger posten oder löschen darf. „Vonseiten der Betreiber wird man aber im schlimmsten Fall zu befürchten haben, dass der Zugang dann gesperrt wird“, so der öffentliche Notar, der auf Erbschaftsangelegenheiten spezialisiert ist.
Heiß diskutiert wird dagegen immer noch, was passiert, wenn der Account einen monetären Wert hat - wie etwa bei Influencern. Dabei ist umstritten, ob die Erben diesen weiterführen dürfen oder nicht - wobei sich das Problem oft allein dadurch löst, dass die Followerschaft an die Person gebunden war und einem Nachfolger nicht unbedingt weiter folgt. „Die Frage, ob Erben einen Account übernehmen dürfen, ist noch nicht abschließend geklärt“, so Nierlich. Grundsätzlich gehen aber digitale Verträge mit Plattformen ebenso auf den Erben über wie alle anderen Verträge auch. Wer sich diesbezüglich absichern möchte, könne das tun, indem er auch den digitalen Bereich in das Testament inkludiere - ähnlich wie etwa bei Vorsorgevollmachten, so Nierlich: "Darin kann auch festgelegt werden, was passieren soll, wenn man in ein langjähriges Koma fällt oder eines Tages dement wird“, erklärt er. Um die Umsetzung der Verfügungen würde sich dann ein Erwachsenenvertreter - ehemals Sachwalter - kümmern.
Ebenfalls offen sei noch die Frage, was mit digitalen Abos passiert, für die Geld gezahlt wurde - etwa der iTunesoder Kindle-Account. „Die Bücher in der Bibliothek und die Musiksammlung gehen natürlich auf den Erben über“, so der Notar, „aber derzeit laufen die Abos dann aus und bisher hat noch niemand Amazon verklagen." Im Vergleich zu den Fragen, mit denen sich die Gesellschaft und der Gesetzgeber aber im Hinblick auf ein virtuelles Weiterleben etwa in Form eines Avatars auseinandersetzen müssen, erscheinen diese Probleme jedoch lösbar. „Ein möglicher Ansatz wäre, dass sich ein spezieller KI-Kurator anschaut, wer die KI und die damit virtuell im Leben gehaltene Person nutzen darf, der über ihre Entwicklung wacht und dieser einen kontrollierten Rahmen gibt“, so Rechtsanwalt Leissler. Denn bei den Möglichkeiten, wie ein virtuelles Leben nach dem Tod aus dem Ruder laufen kann, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. „Das beginnt bei ganz unjuristischen Dingen, die aber das Lebenswerk eines Menschen zerstören können“, so der Anwalt. „Etwa, wenn jemand, der sich sein Leben lang sozial engagiert hat, als Post mortem-Avatar von einer lebenden Person nicht zu unterscheiden ist, und dann rechtsradikale Positionen von sich gibt.“
Ebenso könne ein nicht kontrollierter Avatar des Verstorbenen wie ein Lebender agieren, was etwa zu der Situation führen könne, dass ein aus dem Leben Geschiedener plötzlich um eine neue Finanzierung ansucht - etwa, um ein neues Auto zu kaufen. „Das würde nicht nur vertragsrechtliche Unklarheiten aufwerfen, sondern auch ganze Systeme durcheinanderbringen“, so Leissler. „Etwa dann, wenn bei dessen Bank eine Todesfallanzeige eingegangen ist und kurz darauf die vom Avatar initiierte Finanzierungsanfrage des Autohauses kommt“, nennt er ein Beispiel für Vorgänge, die die Software überfordern könnte.
Das viel größere Thema als die rein juristischen Betrachtungen werden aber ethische Fragen sein. Etwa, wie lang darf oder muss ein Verstorbener nach dem Tod virtuell weiterleben? Wird er sich dabei den Algorithmen der KI entsprechend weiterentwickeln dürfen oder ewig die Persönlichkeit zum Todeszeit punkt bleiben? Oder lieber die der Jugend? Dürfen Eltern ihre Kinder virtuell zum Leben erwecken und wenn ja, werden die Avatare dann auch erwachsen? Auch das Ressourcenthema könnte bei der künftigen Entwicklung der Situation eine Rolle spielen, wie Leissler anmerkt: „Wenn eines Tages Millionen Avatare zur schon jetzt bestehenden Milliardenbevölkerung dazukommen, werden die Emissionen der nötigen Serverfarmen den Planeten zusätzlich belasten - und die Frage wird sein, ob man das will.“ Derzeit würden solche Fragen kaum in der Breite diskutiert, was auch daran liegen dürfte, dass sich nur eine kleine Minderheit diese Möglichkeiten überhaupt leisten könne.
Entsprechend finde man auch in der Fachwelt nur vereinzelte Meinungen und Artikel zu diesem juristisch spannenden Bereich, so Leissler, „auf der gesetzgeberischen und legistischen Seite ist er zudem bisher noch unbeackert“. Man könne versuchen, eine Verfügung beim Notar zu hinterlegen, der Pferdefuß liege aber darin, dass das geltende Recht keinen letzten Wunsch auf virtuelles Weiterleben kenne und daher wohl auch niemand wisse, wie damit umzugehen sei. „Am ehesten greift dabei das Datenschutzrecht, das ja auch post mortem gilt“, so der Jurist bei Schönherr und LexisNexis-Fachautor, „dann sollte es aber in der Verfügung auch eine Ansprechperson geben, die sich um die Art des virtuellen Weiterlebens kümmern muss.“ Oder auch darum, dass man einfach kein virtuelles Leben nach dem Tod bekommt. Eine Art virtueller Sterbehilfe - die hoffentlich auch in der Zukunft legal bleiben wird.
Günther
Leissler
Partner
austria vienna