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In einer aktuellen Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erstmals dazu geäußert, ob die EU-Wiederherstellungsverordnung (W-VO) in Genehmigungsverfahren anzuwenden ist (BVwG 09.05.2025, W270 2279107-1).
Die W-VO verpflichtet die Mitgliedstaaten (MS) der EU, geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen und dazu flächenbezogene Maßnahmen zu ergreifen. Zentrales Instrument dafür sind die nationalen Wiederherstellungspläne (nWp). Darin sind insb die wiederherzustellenden Flächen und die Maßnahmen zur Zielerreichung festzulegen. Beispiele für solche Wiederherstellungsmaßnahmen finden sich in Anhang VII der W-VO (zB Umwandlung von Brachflächen in Naturlandschaften). Zudem enthält die W-VO sogenannte Verschlechterungsverbote. Diese sollen verhindern, dass sich der Zustand bestimmter Flächen verschlechtert. Die Verbote sollen ebenfalls durch Maßnahmen in den nWp umgesetzt werden; denkbar sind zB Genehmigungsvoraussetzungen im nationalen Recht.
Obwohl die W-VO noch keine ausreichend konkreten Vorgaben enthält, um bereits jetzt als rechtlicher Maßstab für die Genehmigung von Projekten zu dienen, wird sie bereits in Verfahren als Argument gegen Projekte angeführt. So war es auch kürzlich in einem Verfahren vor dem BVwG zu einem Windpark in Kärnten der Fall.
Im genannten Verfahren vor dem BVwG machte eine Umweltorganisation geltend, dass der geplante Windpark gegen die W-VO verstoße. Das BVwG stellte jedoch klar, dass sich aus der W-VO derzeit keine unmittelbar anwendbaren Genehmigungsvoraussetzungen ableiten lassen. Zwar handelt es sich um unmittelbar geltendes (Umwelt-)Unionsrecht, das grds auch von anerkannten Umweltorganisationen im Verfahren geltend gemacht werden kann. Insb die Verschlechterungsverbote und daraus möglicherweise ableitbare Genehmigungsvoraussetzungen sind jedoch frühestens ab Fertigstellung des nWp beachtlich. Bis dahin handelt es sich lediglich um Zielvorgaben und "Bemühenspflichten", aus denen keine konkreten Prüf-, Ermittlungs- und Beurteilungspflichten für Genehmigungsverfahren abgeleitet werden können.
Die Entscheidung des BVwG entspricht der bisherigen Rechtsauffassung, dass die W-VO trotz ihres Inkrafttretens noch nicht unmittelbar in Genehmigungsverfahren anwendbar ist. Hinsichtlich der Verschlechterungsverbote wäre jedoch eine differenzierte Betrachtung wünschenswert.
Das BVwG erkennt grds zwei Ausprägungen von Verschlechterungsverboten in Art 4 W-VO an:
· Nach Abs 11 UAbs 2 sollen die MS Maßnahmen ergreifen, mit denen sichergestellt wird, dass sich der Zustand von Flächen, auf denen ein guter Zustand und eine ausreichende Qualität der Habitate der Arten durch Wiederherstellungsmaßnahmen erreicht wurde, nicht erheblich verschlechtert.
· Nach Abs 12 sollen sich die MS bemühen, spätestens bis zur Veröffentlichung der nWp die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um eine erhebliche Verschlechterung des Zustands der Flächen, auf denen die von der W-VO umfassten Lebensraumtypen vorkommen und die sich in gutem Zustand befinden, zu verhindern.
Zur (unmittelbaren) Anwendbarkeit dieser Verbote hält das BVwG zusammengefasst fest: Die Vorgabe des Abs 11 ist erst ab Fertigstellung des nWp beachtlich. Aus Abs 12 kann aufgrund des "Bemühen"-Charakters keine Genehmigungsvoraussetzung abgeleitet werden.
Diese Überlegungen des BVwG sind grds nachvollziehbar, könnten aber noch präziser unterschieden werden. Zunächst ist klarzustellen, dass beide Verschlechterungsverbote (i) nur erhebliche Verschlechterungen erfassen und (ii) an einen bereits (erreichten) guten Zustand anknüpfen.
Für die Anwendbarkeit von Art 4 Abs 11 UAbs 2 W-VO reicht nicht allein das Fertigstellen des nWp, wobei das BVwG offenlässt, wann dieser Zeitpunkt genau erreicht ist (Vorlage des Entwurfs an die EK oder Veröffentlichung?). Das Verbot gilt vielmehr erst, wenn (i) der gute Zustand und (ii) die ausreichende Qualität der Habitate der Arten nach Durchführung von Wiederherstellungsmaßnahmen tatsächlich erreicht wurden.
Art 4 Abs 12 W-VO könnte – sofern aus dem bloßen "Bemühen"-Charakter überhaupt ein Verschlechterungsverbot abgeleitet werden kann – frühestens (i) ab Vorlage des Entwurfs des nWp an die Europäische Kommission und (ii) nach einer methodengerechten Erhebung des guten Zustands zur Anwendung gelangen.
Vor diesen Zeitpunkten besteht keine unmittelbare Verpflichtung für Behörden, Projektwerber oder Dritte, die Verschlechterungsverbote im Rahmen von Genehmigungsverfahren zu beachten.
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Verschlechterungsverboten des Art 4 W-VO und deren konkreter Anwendbarkeit findet sich in unserem ecolex-Beitrag (2025/206)
Autorinnen: Sarah Wolf, Isabel Bruckmoser
Sarah
Wolf
Attorney at Law
austria vienna