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11 August 2025
Blog
austria

Früh teilen, später schützen: Das 1-jährige Sicherheitsnetz für Unionsdesignrechte

Was ist die Neuheitsschonfrist?

Die Neuheitsschonfrist im EU-Designrecht bietet DesignerInnen ein Sicherheitsnetz: Wenn Sie Ihr Design bis zu 12 Monate vor der Anmeldung eines Unionsdesigns öffentlich teilen (zB ein Prototyp, in der Werbung oder auf einer Messe), verlieren Sie nicht Ihr Recht auf Registrierung. Dies gibt DesignerInnen die Möglichkeit, ihr Design vor der formellen Anmeldung auf dem Markt zu testen, ohne dass die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart dem Designschutz entgegenstehen.

Die große Frage: Müssen das offengelegte und das registrierte Design identisch sein?

Bislang war unklar, ob die veröffentlichte Version des Designs mit der später zur Registrierung angemeldeten Designversion identisch sein oder denselben Gesamteindruck vermitteln musste, um sich auf die Neuheitsschonfrist berufen zu können.

Am 12.03.2025 entschied das Europäische Gericht in der Rechtssache T 66/24 (Lidl v EUIPO/Liquidleds), dass Identität nicht immer erforderlich ist: In diesem Fall wurde ein Antrag auf Nichtigerklärung gegen ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster auf Grundlage zweier Designs erhoben, die vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs offenbart worden waren. In seinem Urteil klärte das EuG, dass die Ausnahmeregelung für die Neuheitsschonfrist gemäß Art 7 Abs 2 GGV nicht erforderte, dass das frühere Design identisch mit dem angegriffenen Design war. Es genügte, dass es denselben Gesamteindruck wie das angegriffene Design erweckte.

Das bedeutet, DesignerInnen können – bspw basierend auf Feedback während der Entwicklung und einer Testphase – Anpassungen an Designs vornehmen und sich dennoch auf die Neuheitsschonfrist berufen, solange das endgültig zur Registrierung angemeldete Design denselben Gesamteindruck erweckt wie die ursprünglich veröffentlichte Version.

Warum dieses Urteil Klarheit schafft

  • Innovation trifft auf Flexibilität
    • DesignerInnen können ihr Design offenlegen, experimentieren, weiterentwickeln – und dennoch unionsweiten Schutz für ein Design erlangen, auch wenn das endgültige Design geringfügig vom ursprünglichen Design abweicht. Es muss nur innerhalb von 12 Monaten nach der ersten Veröffentlichung zum Designschutz angemeldet werden.

  • Rechtliche Sicherheit
    • Wenn ein registriertes Unionsdesign unter Berufung auf eine Vorveröffentlichung angefochten wird, können sich DesignerInnen auf die Neuheitsschonfrist berufen – vorausgesetzt, der Gesamteindruck ist derselbe und die Anmeldung erfolgte innerhalb von 12 Monaten nach der ersten Veröffentlichung.

  • Einklang mit der EU-Reform
    • Die vom EuG vorgenommene Auslegung stimmt mit der neuen Fassung von Art 7 Abs 2 UGV (Verordnung 2024/2822) überein, die am 01.05.2025 in Kraft getreten ist. Sie stellt klar, dass innerhalb der Neuheitsschonfrist getätigte Offenbarungen bei der Prüfung von Neuheit und Eigenart unberücksichtigt bleiben, sofern diese "identisch" sind oder sich "nicht in ihrem Gesamteindruck unterscheiden".

Was das für DesignerInnen bedeutet

  • Teilen Sie Ihr Design frühzeitig, um den Markt zu testen – aber stellen Sie sicher, dass Sie innerhalb eines Jahres Schutz als Unionsdesign beantragen!
  • Setzen Sie Verbesserungen oder Anpassungen basierend auf Feedback um – solange das endgültige Design denselben Gesamteindruck erweckt wie das ursprüngliche.
  • Dokumentieren Sie alles: Vergeben Sie Zeitstempel, behalten Sie Dateien, Fotos, Anzeigen, Prototypen – sowohl betreffend die Originalversion als auch die aktualisierte.

Wo noch etwas Unsicherheit besteht

Obwohl das Urteil des EuG im Ergebnis zu begrüßen ist, vermischt der Wortlaut des neuen Art 7 Abs 2 UGV die Anforderungen der "Identität" und "denselben Gesamteindruck" in einer Satzstruktur – ohne zu unterscheiden, welcher Maßstab für das Schutzerfordernis der Neuheit und welcher für die Eigenart gilt (obschon dies sich bereits aus Art 5 und 6 UGV ergibt). Dies führt zu einem systematischen Spannungsverhältnis, das in der Praxis zu Unsicherheiten führen kann.

Autorin: Birigt Kapeller-Hirsch