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Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in einer aktuellen Entscheidung[1] klargestellt: Werden ArbeitnehmerInnen von Österreich aus "remote" an einen Beschäftiger mit Sitz in einem Nicht-EWR-Staat überlassen, handelt es sich um grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung, die eine Ausnahmebewilligung erfordert. Nicht nur Arbeitskräfteüberlasser oder "Employers of Record" sind von den Auswirkungen dieser Entscheidung betroffen. Auch für Konzerne, die ihre ArbeitnehmerInnen "virtuell" bei Konzerngesellschaften mit Sitz in Drittländern einsetzen, ist diese Entscheidung beachtlich.
Eine österreichische Gesellschaft überließ im Zeitraum zwischen 01.07.2021 und 05.04.2023 insgesamt 44 ArbeitnehmerInnen von Österreich aus an ein Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU. Die ArbeitnehmerInnen erbrachten ihre Tätigkeit ausschließlich "remote", arbeiteten daher physisch in Österreich und waren bei der österreichischen Sozialversicherung angemeldet. Nach dem VwGH war es im gegenständlichen Fall unstrittig, dass "Arbeitskräfteüberlassung" iSd Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes ("AÜG") vorliegt. Es lagen keine Ausnahmebewilligungen für grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung vor.
Liegt Arbeitskräfteüberlassung vor, haben der Überlasser sowie der Beschäftiger die Be-stimmungen des AÜG zu beachten. Das AÜG gilt auch für die Überlassung von Arbeitskräften von Österreich in das Ausland. Während für Überlassungen innerhalb des EWR keine Bewilligungen erforderlich sind, ist eine grenzüberschreitende Überlassung von Österreich in ein Drittland nur dann zulässig, wenn eine Verordnung[2] über die Zulässigkeit der Überlassung in bestimmte Staaten besteht oder vorab ausnahmsweise eine Bewilligung hierfür erteilt wurde.[3]
Eine Bewilligung muss vom/von der (österreichischen) ArbeitgeberIn bei der zuständigen Gewerbebehörde beantragt werden und wird dann erteilt, wenn keine arbeitsmarktlichen oder volkswirtschaftlichen Gründe gegen die Überlassung sprechen und der Schutz der Arbeitskräfte nicht gefährdet ist (§ 16 Abs 2 AÜG). Die Erteilung der Bewilligung kann daher insbesondere versagt werden, wenn ein Mangel an gewissen Arbeitskräften mit bestimmten Qualifikationen am österreichischen Arbeitsmarkt besteht oder etwa, wenn ArbeitnehmerInnen an ein Unternehmen mit Sitz in einem Staat, gegen den die EU Sanktionen verhängt hat, überlassen werden sollen.
Mangels einschlägiger Rechtsprechung war bisher strittig, ob eine Bewilligung bei "virtueller" grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung erforderlich ist. Der VwGH stellt nun klar, dass eine grenzüberschreitende Überlassung von Arbeitskräften in einen Drittstaat einer Bewilligung bedarf, auch wenn kein "physischer Grenzübertritt" durch die ArbeitnehmerInnen erfolgt.
Seine Entscheidung begründet der VwGH damit, dass dem Gesetzeswortlaut des § 16 Abs 1 AÜG ("Die Überlassung von Arbeitskräften von Österreich in das Ausland ist nur zulässig, wenn […] eine Bewilligung gemäß Abs 2 erteilt wurde.") das Erfordernis eines physischen Ortswechsels nicht zu entnehmen ist. Zudem müssen die Bewilligungskriterien des § 16 Abs 2 AÜG, nämlich der Schutz der Arbeitskräfte sowie das Nichtvorliegen von arbeitsmarktlichen und volkswirtschaftlichen Gründen, die gegen die Überlassung sprechen, kumulativ erfüllt sein.
Im entscheidungsrelevanten Sachverhalt war der Schutz der ArbeitnehmerInnen zwar nicht gefährdet, zumal ihr physischer Arbeitsort in Österreich blieb und sie arbeits- und sozialversicherungsrechtlich abgesichert waren. Eine Bewilligung kann aber ungeachtet dessen verweigert werden, wenn arbeitsmarktliche und volkswirtschaftlichen Gründe gegen die Überlassung sprechen. Solche Gründe können nach Ansicht des VwGH auch vorliegen, wenn ArbeitnehmerInnen ihre Arbeitsleistungen physisch in Österreich für ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat erbringen. Aus dem Schutzzweck des § 16 Abs 2 AÜG folgt daher, dass eine Überlassung von Arbeitskräften an ein Unternehmen in einem Drittstaat auch dann einer Bewilligung bedarf, wenn die Arbeitskräfte die österreichische Grenze nicht übertreten.
Die Entscheidung des VwGH hat nicht nur bedeutende Konsequenzen für Arbeitskräfteüberlasser und "Employers of Record", sondern auch für (Konzern-)Unternehmen. Besonders bei Sachverhalten, bei denen ArbeitnehmerInnen in Österreich beschäftigt, aber für (Konzern-)Unternehmen in Drittstaaten eingesetzt werden, oder wenn ArbeitnehmerInnen den Weisungen und der Aufsicht von Vorgesetzten in einem Drittstaat unterliegen (etwa bei Matrixorganisationen), ist Vorsicht geboten. In diesen Fällen sollte evaluiert werden, ob Arbeitskräfteüberlassung vorliegt und vorab eine Bewilligung eingeholt werden muss.
Werden Arbeitskräfte mit Arbeitsort in Österreich an ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat ohne vorherige Bewilligung überlassen, drohen (hohe) Verwaltungsstrafen (bis zu EUR 5.000,00; im Wiederholungsfall bis zu EUR 10.000,00). Zudem könnten weitere Sanktionen, wie etwa die Untersagung der Überlassung oder gar der Entzug der Gewerbeberechtigung, verhängt werden.
Unternehmen sind daher gut beraten, das Risiko der Verhängung einer Verwaltungsstrafe zu evaluieren und entsprechende Strategien zur Vermeidung von Verwaltungsübertretungen zu erstellen.[4] Gerne steht Ihnen unser Arbeitsrechtsteam bei diesbezüglichen Fragen zur Verfügung.
[1] VwGH 29.04.2025, Ro 2024/11/0002.
[2] Nach § 15 Abs 2 AÜG kann der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nach Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen und der kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen der ArbeitgeberInnen und der ArbeitnehmerInnen durch Verordnung festlegen, dass für den Bereich bestimmter gesetzlicher Interessenvertretungen oder Berufsvereinigungen oder deren Untergliederungen die Überlassung von Arbeitskräften von Österreich in bestimmten Staaten zulässig ist. Soweit überblickbar, besteht derzeit keine Verordnung nach § 15 Abs 2 AÜG, sodass eine Bewilligung eingeholt werden muss.
[3] Sowohl die Überlassungen von Österreich in ein Drittland als auch von einem Drittland nach Österreich sind bewilligungspflichtig.
[4] Verwaltungsstrafen können nicht nur für zukünftige Verstöße, sondern auch für derzeit anhängige oder in der Vergangenheit erfolgte grenzüberschreitende "virtuelle" Überlassungen ohne Bewilligung verhängt werden (sofern die Strafbarkeit nicht bereits verjährt ist).
Autor:innen: Karin Pusch, Christina Unterdünhofen
Karin
Pusch
Counsel
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