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Das Bundesministerium für Justiz hat am 02.05.2024 den Begutachtungsentwurf der Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle - VRUN zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 ("VerbandsklagenRL") veröffentlicht. Die Begutachtungsfrist endet am 27.05.2024.
Der Entwurf schlägt vor, dass Qualifizierte Einrichtungen Unterlassungsansprüche und Abhilfeansprüche geltend machen können.
Die Unterlassungs- und Abhilfeansprüche sollen zu den bestehenden Rechtsbehelfen, insbesondere nach den §§ 28 ff KSchG und § 14 UWG, hinzutreten.
Der Entwurf unterscheidet zunächst in einem separaten Qualifizierte Einrichtungen Gesetz - QEG zwischen der Anerkennung einer Qualifizierten Einrichtung für grenzüberschreitende Verbandsklagen und der Anerkennung einer Qualifizierten Einrichtung für innerstaatliche Verbandsklagen.
Jede nach österreichischem Recht inkorporierte juristische Person ist vom Bundeskartellanwalt mit Bescheid als Qualifizierte Einrichtung für grenzüberschreitende Verbandsklagen anzuerkennen, wenn sie folgende fünf Voraussetzungen erfüllt:
Eine Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung für innerstaatliche Verbandsklagen setzt zusätzlich voraus, dass "auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass sie ihre satzungsmäßigen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und sie nicht mehr als 20 % ihrer finanziellen Mittel durch unentgeltliche finanzielle Zuwendungen von Unternehmen wie Spenden und Schenkungen bezieht" (§ 2 Abs 1 QEG).
Die Rechte der Qualifizierten Einrichtung umfassen die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen
Die Verbandsklage auf Unterlassung richtet sich auf die Beendigung und das Verbot eines rechtswidrigen Verhaltens eines Unternehmers, "wenn dieses die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht."
Neu ist, dass die Verbandsklage – anders als etwa § 28a KSchG - jedes rechtswidrige Verhalten erfasst. Sie geht damit über die Mindesterfordernisse der VerbandsklagenRL hinaus, die nur die in ihrem in Anhang I genannten Rechtsmaterien erfassen würde.
Auch bei dieser steht – ebenso wie in § 28 Abs 2 KSchG – ein Abmahnverfahren vor Klagsführung zur Verfügung, welches jedoch nicht zwingend ist.
Mit der Abhilfeklage besteht nunmehr die zusätzliche Möglichkeit, der beklagten Partei (dem Unternehmer) die Verpflichtung zu einer Leistung aufzuerlegen. Es wird demnach, anders als bei dem bisher bekannten Unterlassungsbegehren des § 28ff KSchG, die Möglichkeit geschaffen, über Ansprüche von Verbrauchern abzusprechen.
Als Voraussetzung muss die Klage jedoch ua Begehren von zumindest 50 Verbrauchern gegen dasselbe Unternehmen enthalten, die überdies auf im Wesentlichen gleichartigen Sachverhalten beruhen, die den Ansprüchen der Verbraucher gemeinsam sind. Über die individuellen Ansprüche der einzelnen Verbraucher entscheidet das Gericht erst nach einer allfälligen Entscheidung über die Voraussetzungen des Abhilfeverfahrens, der Verhandlung der gemeinsamen Streitpunkte und nach der Entscheidung über einen allfälligen Zwischenfeststellungsantrag zur Feststellung von entscheidungswesentlichen Rechten oder Rechtsverhältnissen.
Besondere Bestimmungen wurden auch für einen im Abhilfeverfahren abgeschlossenen Vergleich eingeführt: Er muss – abweichend vom bisher vorherrschenden Grundsatz der Parteienmaxime – vom Gericht bestätigt werden.
Das Gericht darf einen Vergleich nur dann bestätigen, wenn der Vergleich nicht im Widerspruch zu zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts steht und keine Bedingungen enthält, die nicht vollstreckbar sind. Fraglich ist dabei, ob aufgrund des Gesetzeswortlauts ("darf") auch weitere Gründe vorliegen könnten, weshalb das Gericht die Bestätigung des Vergleichs versagen kann.
Der abgeschlossene Vergleich bindet die dem Verfahren beigetretenen Verbraucher.
Der Ministerialentwurf sieht vor, dass die Abhilfeklage auf dem Prinzip des Opt-in basiert. Damit ein von der ursprünglichen Abhilfeklage nicht umfasster Verbraucher von den Wirkungen der Abhilfeklage erfasst wird, bedarf es somit gemäß dem neu geschaffenen § 628 ZPO einer Beitrittserklärung des Verbrauchers, die bis drei Monate nach Veröffentlichung der Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens erfolgen kann.
Qualifizierte Einrichtungen sollen Beitrittserklärungen ohne Angabe von Gründen ablehnen können.
6 QEG erklärt die Finanzierung von Verbandsklagen durch Dritte explizit für zulässig. Die Qualifizierte Einrichtung darf im Falle einer Drittfinanzierung den Beitritt von Verbrauchern zur Verbandsklage auch davon abhängig machen, dass die Verbraucher mit dem Drittfinanzierer eine Vereinbarung abschließen.
Ebenso kann die Qualifizierte Einrichtung eine Beitrittsgebühr von den Beitretenden einheben, welche jedoch weder 20% des geltend gemachten Anspruchs noch EUR 250 überschreiten darf.
Sowohl für Verbandsklagen auf Unterlassung als auch für Verbandsklagen auf Abhilfe ist das Handelsgericht Wien ausschließlich zuständig. Eine Änderung des Gerichtsstands durch Parteienvereinbarung ist unzulässig.
Der Entwurf sieht vor, dass es im Rahmen einer Abhilfeklage ausreicht, wenn in der Klage oder der Beitrittserklärung die Ansprüche nur soweit substantiiert sind, dass diejenigen Tatsachen und Beweisanbote enthalten sind, die der Qualifizierten Einrichtung mit zumutbarem Aufwand zugänglich sind und die die Plausibilität der Ansprüche ausreichend stützen (nunmehr in § 624 Abs 5 ZPO geregelt).
Nach den Erläuternden Bemerkungen haben Abhilfeklage und Beitritt daher zwar schlüssig zu sein, aber die Anforderungen an die Plausibilität des Tatsachenvorbringens und seine Substantiierung werden "gelockert". Was dies im Ergebnis bedeutet, wird wohl erst die künftige Rechtsprechung zeigen.
Bei Verbandsklagen auf Unterlassung hat das Gericht bei Vorliegen eines berechtigten Interesses auf Antrag der obsiegenden Partei die Befugnis auszusprechen, dass Urteile, Teile dieses oder eine berichtigende Erklärung innerhalb bestimmter Frist auf Kosten des Gegners zu veröffentlichen sind. Auch hier soll wieder ein Gleichklang zur Urteilsveröffentlichung bei Verbandsklagen nach §§ 28ff KSchG geschaffen werden.
Bei der Abhilfeklage ist hingegen sowohl zwingend die Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens als auch dessen darauffolgende Entscheidungen in der Ediktsdatei zu veröffentlichen.
Mit Veröffentlichung der Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens auf Abhilfe ist zusätzlich zur Entscheidung ua darüber zu informieren, dass eine Verbandsklage auf Abhilfe eingebracht wurde, welcher man sich durch Beitritt anschließen kann, eine Darstellung der Voraussetzungen, Frist und Wirkung, ein Beitrittsformular oder ein Link zum Beitrittsformular sowie eine Belehrung über die Voraussetzungen, den Ablauf und die Wirkungen eines Verfahrens.
Mit der Entscheidung ua über die Durchführung des Verbandsklageverfahrens auf Abhilfe sind zusätzlich die Entscheidungen über den Zwischenfeststellungsantrag, über die einzelnen geltend gemachten Ansprüche sowie über bestätigte Vergleiche in der Ediktsdatei zu veröffentlichen.
Die Verbandsklage auf Unterlassung führt gemäß dem Ministerialentwurf bei allen betroffenen Verbrauchern zur Hemmung der Verjährungsfrist für die mit dem Streitgegenstand der Verbandsklage im Zusammenhang stehenden Ansprüche gegen die beklagte Partei. Ab rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens verbleibt den Verbrauchern aber jedenfalls eine Frist von sechs Monaten, um Ihre Ansprüche mittels Klage (individuell oder im Rahmen einer Abhilfeklage) geltend zu machen.
Bei der Verbandsklage auf Abhilfe führt der Beitritt eines Verbrauchers ebenfalls zu einer Hemmung der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs rückwirkend mit dem Zeitpunkt der Einbringung der Verbandsklage bei Gericht. Darüber hinaus gilt für den Fall der Zurückweisung einer Verbandsklage auf Abhilfe, dass dem Verbraucher jedenfalls noch eine Frist von drei Monaten ab Rechtskraft der Zurückweisungsentscheidung verbleiben muss, um den Anspruch geltend zu machen.
Es ist davon auszugehen, dass im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zahlreiche Stellungnahmen eingehen werden. Derzeit kann daher noch nicht gesagt werden, ob der Entwurf tatsächlich so umgesetzt wird. Sollte dies der Fall sein, bleibt abzuwarten, wie viele juristische Personen tatsächlich einen Antrag auf Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung stellen. Die anhängigen Bürgerinitiativen auf Anerkennung der Verbandsklage-Befugnis iS des § 29 KSchG für den Verein "COBIN claims" (43/BI XXVII. GP) sowie für die "Verbandsklage auch für Verbraucherschutzverein (VSV)" (41/BI XXVII. GP) zeigen jedenfalls Interesse. Der VSV konnte kürzlich beim Landesgericht Klagenfurt (vorerst) einen Etappenerfolg verbuchen, denn dieses hat die Aktivlegitimation des VSV unter direkter Anwendung der VerbandsklagenRL bejaht (77 Cg 49/23m – nicht rechtskräftig). Abzuwarten bleibt, ob auch aktivistisch ausgelegte Vereine, die sich Themen wie Datenschutz und Klima widmen, einen erfolgreichen Antrag auf Anerkennung stellen. Wir erwarten auch eine Zunahme von Prozessfinanzierern sowie eine Zunahme von grenzüberschreitenden Tätigkeiten qualifizierter Einrichtungen aus dem Ausland.
Zudem ist momentan unklar, ob bzw in welchem Ausmaß von der Möglichkeit der Erhebung eine Abhilfeklage tatsächlich Gebrauch gemacht wird und vor allem inwieweit die Gerichte dem Ziel der VerbandsklagenRL, eine wirksame und effiziente Möglichkeit zu bieten, um die Kollektivinteressen der Verbraucher zu schützen, gerecht werden können.
Siehe auch – Class Action Info Corner
authors: Manuela Zimmermann, Peter Konwitschka, Marguerita Sedrati-Müller, Sara Khalil, Nadja Mihalits-Suitner
Manuela
Zimmermann
Partner
austria vienna