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14 April 2020
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Auswirkungen der COVID-19-Krise auf verfahrensrechtliche Fristen in gerichtlichen Verfahren

Zur Hintanhaltung jeglicher Missverständnisse entschied sich der Gesetzgeber, eine nicht notwendige ausdrückliche Klarstellung im 4. COVID-19-Gesetz vorzunehmen, das nach der Kundmachung im Bundesgesetzblatt (BGBl I 24/2020) mit Beginn des 05.04.2020 in Kraft getreten ist (2. COVID-19-JuBG). § 1 Abs 1 zweiter Satz 1. COVID-19-JuBG wurde durch folgende Sätze ersetzt:

Sie beginnen neu zu laufen. Bei der Berechnung einer Frist nach § 125 Abs. 1 ZPO gilt der 1. Mai 2020 als Tag, in den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, wonach sich der Anfang der Frist richten soll. Bei der Berechnung einer Frist nach § 125 Abs. 2 ZPO gilt der 1. Mai 2020 als Tag, an dem die Frist begonnen hat.

Der Gesetzgeber verweist nunmehr ausdrücklich auf § 125 ZPO. Darüber hinaus führt er in den Erläuterungen unmissverständlich aus, dass der 01.05.2020, als fristauslösendes Ereignis im Sinn des § 125 Abs. 1 ZPO festgelegt wird, er ist somit nicht mitzurechnen. Der Gesetzgeber selbst untermauert diese legislative Klarstellung mit den Beispielen, wonach eine 14-tägige Frist am 15.05.2020 und eine 4-wöchige Frist am 29.05.2020 ende.

Das 2. COVID-19-Gesetz, das nach der Kundmachung im Bundesgesetzblatt (BGBl 16/I/2020) mit Beginn des 22.03.2020 in Kraft getreten ist, enthielt bereits in § 1 Abs 1 zweiter Satz 1. COVID-19-JuBG folgende Regelung:

In gerichtlichen Verfahren werden alle verfahrensrechtlichen Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fällt, sowie verfahrensrechtliche Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnen mit 1. Mai 2020 neu zu laufen.

Der Gesetzgeber empfand diese Bestimmung samt Erläuterungen für ausreichend, um Unklarheiten über den Beginn und Lauf von verfahrensrechtlichen Fristen vorzubeugen. Unseres Erachtens war aufgrund folgender Erwägungen auch keine Änderung des ursprünglichen Gesetzestextes notwendig.

Nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hemmung nach § 222 ZPO beginnt, wenn beispielsweise das Urteil innerhalb der verhandlungsfreien Zeit zugestellt wird, die Berufungsfrist erst mit dem Ende der verhandlungsfreien Zeit zu laufen. Wurde im gehemmten Zeitraum zugestellt, wird der erste Tag nach der verhandlungsfreien Zeit einhellig nicht als Tag des fristenauslösenden Ereignisses behandelt.

Diese Judikaturlinie basiert jedoch nicht auf Regelungen zur Fristunterbrechung, sondern auf jenen zur Fristhemmung und ist daher nicht auf Konstellationen mit Unterbrechungen heranzuziehen.

Der Gesetzgeber hat – so bereits in den Erläuterungen zum 2. COVID-19-gesetz klar ersichtlich – vom System einer Fristenhemmung explizit abgesehen. So werde die Anordnung einer Unterbrechung der gegebenen Situation besser gerecht, weil in manchen Rechtsanwaltskanzleien wenig Personal vorhanden und nicht sicher sei, dass dieses mit Ablauf der Unterbrechungsfrist wieder voll zur Verfügung stehe. Für den Gesetzgeber ist daher entscheidend, dass die Parteien ausreichend Zeit für ihre Rechtsmittel(gegen)schrift zur Verfügung haben und so gestellt werden, als wäre ihnen das Urteil nicht während dem Zeitraum zwischen dem 22.03.2020 und dem 30.04.2020, sondern am 01.05.2020 zugestellt worden.

Sinn und Zweck der Regelung ist also eine deutliche Verschiebung prozessualer Handlungen nach hinten. Fristen beginnen laut Gesetzestext mit 01.05.2020 neu zu laufen. Der 01.05.2020 ist daher jener gesetzlich bestimmte Zeitpunkt, nach dem sich der Anfang der Frist richten soll. Gemäß § 125 Abs 1 ZPO wird dieser Tag nicht in die Frist miteingerechnet.

Diese Lösung ist auch vor dem Hintergrund konsequent, dass gemäß § 125 Abs 2 ZPO Wochenfristen am selben Wochentag ablaufen, an dem die Frist beginnt. Da gemäß § 1 Abs 1 Satz 2 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz die Fristen "mit [Freitag] 01.05.2020 neu zu laufen beginnen", enden Wochenfristen auch jeweils an einem Freitag, also 2-Wochen-Fristen am 15.05.2020 und 4-Wochen-Fristen am 29.05.2020.

Nur diese Art der Berechnung verhindert, dass eine Frist von 14 bzw. 28 Tagen und eine solche von zwei bzw. vier Wochen an zwei verschiedenen Tagen enden.

Der Gesetzgeber möchte – offenkundig und erkennbar – mit dem Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz dem Rechtsanwender größtmöglich entgegenkommen. Es beginnen daher alle verfahrensrechtlichen Fristen (beispielsweise Rechtsmittelfristen, Fristen zum Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl, zur Übermittlung einer Klagebeantwortung, Äußerung oder Stellungnahme) neu zu laufen.

Beispiel 1: Ein Urteil wird am 10.03.2020 zugestellt, die Rechtsmittelfrist endet zwischen 22.03.2020 und 30.04.2020. Die gesamte vierwöchige Berufungsfrist beginnt daher am 01.05.2020 neu zu laufen und endet somit mit Ablauf des 29.05.2020.

Beispiel 2: Ein Beschluss wird am 10.03.2020 zugestellt, die Rechtsmittelfrist endet zwischen 22.03.2020 und 30.04.2020. Die gesamte 14-tägige Rekursfrist beginnt daher am 01.05.2020 neu zu laufen und endet mit Ablauf des 15.05.2020.

Beispiel 3: Ein Urteil wird am 01.04.2020 zugestellt, die Rechtsmittelfrist beginnt am 01.05.2020 zu laufen und endet daher mit Ablauf des 29.05.2020.

Beispiel 4: Ein Beschluss wird am 01.04.2020 zugestellt, die Rechtsmittelfrist beginnt am 01.05.2020 zu laufen und endet mit Ablauf des 15.05.2020.

Beispiel 5: Ein Verbesserungsauftrag wird am 10.03.2020 zugestellt. Der Verbesserungsauftrag enthält eine Frist von 14 Tagen. Auch diese Frist wird unterbrochen, beginnt daher am 01.05.2020 neu zu laufen und endet somit gemäß § 125 Abs. 1 ZPO mit Ablauf des 15.05.2020.

Beispiel 6: Ein Verbesserungsauftrag wird am 01.04.2020 zugestellt. Der Verbesserungsauftrag enthält eine Frist von 14 Tagen. Die Frist beginnt am 01.05.2020 zu laufen und endet daher mit Ablauf des 15.05.2020.

Der Versuch, jegliche Missverständnisse und daraus resultierende Fristenversäumungen hintanzuhalten, ist im Sinne der Rechtsicherheit zu begrüßen. Sollte eine Verlängerung der Fristenunterbrechung über den 01.05.2020 hinaus notwendig werden und die Justizministerin von ihrer Verordnungsermächtigung nach § 9 1. COVID-19-JuBG Gebrauch machen, können die obigen Ausführungen Klarheit über den Beginn und das Ende verfahrensrechtlicher Fristen schaffen.

Peter
Madl

Counsel

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