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16 June 2025
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Wien. Wenn komplexe Wirtschaftsstrafverfahren jahrzehntelang laufen und die Justiz an ihre Kapazitätsgrenzen stoßt, während die Unschuldsvermutung zur leeren Floskel verkommt, dann stellt sich die Frage: Geht das nicht auch anders? Ein Blick über die Grenzen hinaus liefert eine klare Antwort: Ja, es geht. In zahlreichen europäischen Rechtsordnungen sind verfahrensbeendende Absprachen in verschiedenen Ausprägungen längst Realität. Diese reichen von Urteilsabsprachen mit Schuldspruch (plea bargain) bis hin zu außergerichtlichen Einigungen in Verbindung mit (Straf-)Auflagen – teilweise ohne Schuldübernahme (deferred prosecution agreements). Gerade im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen Unternehmen zeigt sich, dass derartige konsensuale Lösungen nicht nur möglich sind, sondern auch zum Wohle der Beteiligten effizient und rechtsstaatlich gestaltbar. Seit Einführung des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes (VbVG) im Jahr 2006 gibt es auch in Österreich eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen. Diese werden für strafrechtlich relevantes Verhalten ihrer Entscheidungsträger und/oder Mitarbeiter strafrechtlich verantwortlich gemacht – und das mit empfindlichen Konsequenzen. Neben Geldbußen nach dem VbVG droht der Ausschluss von lukrativen Vergabeverfahren – von einem erheblichen Reputationsschaden ganz zu schweigen, der umso größer ist, je länger Strafverfahren dauern. Vor dem Hintergrund dieser Belastung für Unternehmen als Arbeitgeber und Wirtschaftsstandort ist es höchste Zeit für einen kulturübergreifenden Perspektivenwechsel ohne vermeintlich ideologische Scheuklappen.

„Von öffentlichem Interesse“

Frankreich kennt mit der Convention Judiciaire d’Intérêt Public für Unternehmen wirksame Modelle zur Verfahrensbeendigung. 2016 im Kampf gegen Korruption eingeführt, wurde die – trefflich betitelte – „Justizielle Vereinbarung von öffentlichem Interesse“ zuletzt auf Fälle der Steuerhinterziehung und auf das Umweltstrafrecht ausgedehnt. Staatsanwaltschaft und beschuldigtes Unternehmen können sich auf die verschiedenen Sanktionsmechanismen einigen: von Strafzahlungen bis zur Implementierung von Compliance-Richtlinien. In UK gehören Deferred Prosecution Agreements (DPA) seit über einem Jahrzehnt zum Standard-Repertoire der Staatsanwaltschaften in komplexen Sachverhalten. Jüngst geriet das Instrument auch deshalb wieder in den Blickpunkt der öffentlichen Debatte, weil die britische Antikorruptionsbehörde Serious Fraud Office Unternehmen dazu aufrief, sich selbst anzuzeigen – mit der Aussicht, im Gegenzug ein DPA abschließen zu können. Ebenso sind in Deutschland seit 2009 Verständigung im Strafverfahren und Strafbefehle Teil der Strafrechtsordnung. Damit wurde der bereits gängigen Praxis der Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und Verfahrensbeteiligten ein gesetzlicher Rahmen gegeben. Dazu kommt eine geopolitische Neuausrichtung: Die USA haben im Februar den Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) für sechs Monate ausgesetzt, der den US-Strafverfolgungsbehörden als rechtliche Grundlage für die Ermittlung internationaler Wirtschaftskriminalität diente. Am 10. Juni wurde bekannt, dass die US-Regierung laut einem Memo von US-Generalstaatsanwalt Todd Blanche plant, die Verfolgung von Bestechung im Ausland wieder aufzunehmen und sich dabei auf schwerwiegende Fälle zu konzentrieren, um die Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen zu schützen.

Internationale Kooperation

Als Reaktion haben das Vereinigte Königreich, Frankreich und die Schweiz eine gemeinsame Task Force ihrer jeweiligen Spezialstaatsanwaltschaften ins Leben gerufen. Ziel ist eine verstärkte Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Korruption. Die drei Länder haben verfahrensbeendende Absprachen hier als nützliches Werkzeug identifiziert, weitere (europäische) Länder überlegen, der Task Force beizutreten. All diese Beispiele zeigen, dass sich Effizienz und rechtsstaatliche Standards nicht ausschließen. Im Gegenteil: Durch klare Regeln und richterliche Kontrolle können Absprachen zur Entlastung der Justiz beitragen und Opfern zu schnellerer Schadenswiedergutmachung verhelfen, ohne leitende Grundsätze eines Strafverfahrens zu unterlaufen. Österreich hingegen bleibt bislang zögerlich, obwohl sich regelmäßig und auch in der jüngsten Vergangenheit immer wieder prominente Persönlichkeiten aus Justiz, Rechtswissenschaften und Politik befürwortend geäußert haben. Solche Absprachen zu ermöglichen, wäre keineswegs derart mit dem österreichischen Recht unvereinbar, wie es auf den ersten Blick scheint. Bereits jetzt können bestimmte Strafverfahren diversionell oder über das Mandatsverfahren erledigt oder wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, und es gibt auch die Kronzeugenregelung. In Strafverfahren gegen Unternehmen liegt es überdies im Ermessen der Staatsanwaltschaft, unter bestimmten Voraussetzungen von der Strafverfolgung abzusehen. All das wirkt aber selten verfahrensbeschleunigend. So bedarf es für eine Diversion eines hinreichend geklärten Sachverhalts und einer hohen Verurteilungswahrscheinlichkeit. Die Probleme mit der Kronzeugenregelung sind wohl dokumentiert. Nicht nur gestaltet sich die rechtzeitige Offenlegung der den Strafverfolgungsbehörden unbekannten Informationen oft zum Wettlauf gegen die Zeit. Die bloße Aufdeckung jener Straftat, die der Täter selbst begangen hat, reicht für die Gewährung des Kronzeugenstatus überdies nicht aus. Und das Verfolgungsermessen nach § 18 VbVG ist eben das – ein Ermessen der Staatsanwaltschaft, und somit aus Sicht der Beratung und der Unternehmen eine Black Box: Es fehlt ein klarer Rahmen, wann von der Verfolgung gegen Unternehmen abgesehen wird. Dies wurde ebenfalls kritisch im Länderbericht Oktober 2024 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung betreffend Österreich thematisiert. Verfahrensbeendende Absprachen könnten vielfach helfen:

  • Verfahrensbeschleunigung: Interne Untersuchungen sind im Wirtschaftsleben gang und gäbe. Die Staatsanwaltschaft könnte diese zum Gegenstand ihrer Ermittlungen machen, wohingegen Hausdurchsuchungen und Daten(träger)beschlagnahmen erfahrungsgemäß verfahrensverzögernd wirken.
  • Entschädigung: Teil der Auflagen, unter denen Strafverfahren gegen verfolgte Unternehmen eingestellt werden würden, wäre eine adäquate Schadenswiedergutmachung durch die Unternehmen. Teures Asset tracing und jahrelanges Warten auf einen möglichen Privatbeteiligtenzuspruch erübrigten sich.
  • Rechtsfrieden: Bekanntlich belastet Unsicherheit die Wirtschaft. Mit einem Exit-Szenario könnten Unternehmen sich unter Auflagen schneller wieder ihrem regulären Wirtschaftsleben und ihrer primären Tätigkeit als Arbeitgeber und Wirtschaftsstandort widmen.
  • Konsequenzen: Neben der Wiedergutmachung ist insbesondere an eine Geldbuße zu denken, wie dies bereits jetzt im VbVG vorgesehen ist. Ebenfalls in Betracht gezogen werden sollte ein befristetes Monitoring, in dessen Rahmen überprüft wird, ob das Unternehmen Maßnahmen gesetzt hat, um solche Vorfälle zukünftig zu verhindern. Sollte sich das Unternehmen den Abschluss der Absprache erschlichen oder Auflagen nicht eingehalten haben, so muss das Strafverfahren fortgeführt werden können.
  • Keine Verurteilung: Eine strafrechtliche Entscheidung im Sinne eines Urteils ist eben nicht vorgesehen. Vielmehr ähnelt die Absprache einer diversionellen Erledigung und soll insbesondere nicht zum Ausschluss von Vergabeverfahren führen und – anders als Strafurteilte – keine Bindungswirkung für Zivilverfahren entfalten.. Entscheidend ist dabei: Eine Absprache ist weder Freibrief noch Resultat von Zwang. Er bedarf der gerichtlichen Kontrolle und Genehmigung in einer gesondert abzuhaltenden Hauptverhandlung sowie einer Widerrufsmöglichkeiten binnen angemessener Frist. Die Absprache muss dokumentiert, nachvollziehbar, und, zur Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das System, öffentlich einsehbar sein.

Schlussfolgerung

Österreich steht vor der Wahl: Will man weiterhin am unbefriedigenden Status quo festhalten und die Zeichen der Zeit verkennen? Oder schafft man endlich einen rechtlichen Rahmen, der verfahrensbeendende Absprachen erlaubt, aber auch bindet? Das Strafrecht muss Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart bieten. Dazu gehört auch, sich einzugestehen, dass eine gut geregelte Absprache oft gerechter ist als ein jahrelanger, teils jahrzehntelanger Prozess mit unbefriedigendem Ausgang.

authors: Oliver M. Loksa, Martin Salamon

Oliver Michael
Loksa

Counsel

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