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This article was first published on Der Standard, 15 October 2024.
Der frühere französische Nationalspieler Lassana Diarra, der zwischen 2007 und 2016 34 Länderspiele bestritt und bei Topklubs wie FC Chelsea und Real Madrid anheuerte, ist vier Jahre nach seinem Karriereende wieder in aller Munde: nicht jedoch aufgrund seiner – zuletzt bei Paris Saint German eingesetzten – Defensivkünste, sondern im Zusammenhang mit einem brisanten Schadenersatzprozess, der den Weg nach Luxemburg fand.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sah sich nach dem berühmten Bosman-Urteil aus dem Jahr 1995 erneut in der Lage, den internationalen Fußballtransfermarkt zu revolutionieren. Das damalige Urteil erklärte verpflichtende Ablösesummen nach Vertragsende und eine maximale Anzahl ausländischer Spieler in einem Verein für unzulässig. Grundlage für die neue Entscheidung sind einmal mehr die "FIFA Regulations on the Status and Transfer of Players" (RSTP). Im Fokus standen insbesondere Transferregeln für Spieler, die ihren Vertrag mit dem vorherigen Klub vorzeitig und vermeintlich ohne wichtigen Grund gekündigt haben.
Nach diesen Bestimmungen haften sowohl Spieler als auch neue Vereine für die Entschädigung, die dem ehemaligen Verein des Spielers zusteht. Darüber hinaus sehen die RSTP vor, dass sportliche Sanktionen, wie Transfersperren, gegen den neuen Verein verhängt werden können, der zum Vertragsbruch eines Spielers beigetragen hat. Die RSTP nehmen bis der Gegenbeweis erbracht ist an, dass der neue Verein die Vertragskündigung des Spielers veranlasst hat. Zudem dürfen während eines aufrechten Vertragsstreits vom Fußballverband des früheren Vereins keine Transferzertifikate ausgestellt werden. Somit sitzt ein betroffener Spieler während einer Vertragsstreitigkeit wortwörtlich "auf der Bank".
So geschah es auch um Lassana Diarra, der nach Bruch mit seinem Trainer beim russischen Klub Lokomotive Moskau die Teilnahme am Training verweigerte und letztlich den Verein verließ. Im ausgelösten Vertragsstreit belegte die Fifa den Mittelfeldspieler mit einer Millionenstrafe. Dennoch wollte der belgische Erstligist Sporting Charleroi Diarra verpflichten. Nach Ankündigung der Fifa und dem belgischen Verband, dass sich jeder Klub, der den Franzosen unter Vertrag nimmt, an der Strafe beteiligen müsse, scheiterte der Transfer. Für die Saison "im Abseits" forderte Diarra Schadenersatz von der Fifa und dem belgischen Fußballverband.
In seinem Urteil stellt der EuGH nunmehr fest, dass die betroffenen Bestimmungen der Fifa-RSTP sowohl gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoßen als auch eine Beschränkung bzw. Verhinderung des grenzüberschreitenden europäischen Wettbewerbs bezwecken können. Die Möglichkeit, durch das Anheuern ausgebildeter Spieler zu punkten, ist im Profifußball von entscheidender Bedeutung. Einschränkungen des Wettbewerbs seien nur dann erlaubt, wenn sie erforderlich sind, um ein gewisses Maß an Stabilität bei der Zusammensetzung der Profifußballvereine zu wahren. Diarras Chancen auf Schadenersatz gegen die Fifa haben sich durch das EuGH-Urteil deutlich verbessert, die endgültige Entscheidung liegt nun bei einem belgischen Gericht, das an die Auslegung des EuGH gebunden ist.
Das Urteil ist in Zusammenschau mit jüngerer Rechtsprechung des EuGH im Profisportbereich konsequent. Aber handelt es sich bei dieser Entscheidung nun tatsächlich um „Bosman 2.0"? Wohl nein.
Es bleibt für Fußballspieler weiterhin unzulässig, Verträge mit Fußballvereinen ohne wichtigen Grund vorläufig zu beenden. Eine mögliche Auswirkung ist jedoch, dass Entschädigungs- und Strafzahlungen an den betroffenen Verein bzw. die Fifa künftig nur noch von den vertragsbrüchigen Spielern selbst und nicht auch von den neuen Klubs getragen werden müssen. Es ist also nicht anzunehmen, dass Fußballspieler nun reihenweise vertragsbrüchig werden und hohe Strafzahlungen riskieren. Ob das Diarra-Urteil zu einer Lawine an schadenersatzrechtlichen Klagen anderer gesperrter Profispieler wegen Verdienstausfalls führt, bleibt abzuwarten.
Der EuGH lässt es sich indes nicht nehmen, in seiner neuesten Entscheidung mehrfach das inhärente Problem der RSTP hervorzuheben. Diese enthielten ungenaue oder gar willkürliche Regelungen, die nicht in Bezug zu konkreten Arbeitsverhältnissen stünden und unverhältnismäßig seien. Besonders den Berechnungsmethoden für Strafzahlungen bei Vertragsauflösung ohne wichtigen Grund (im Fall von Lassana Diarra rund zehn Millionen Euro) zeigt der EuGH die (zumindest) gelbe Karte und zweifelt an, ob die vorgesehenen Kriterien bestimmt, verhältnismäßig und transparent genug sind. Genau hier wird die Fifa bei der Überarbeitung ihrer RSTP nun anknüpfen müssen, um diese und das internationale Transfersystem nicht in ihrer Gesamtheit zu gefährden.
Nachvollziehbar ist das Ziel der Fifa, stabile Vertragsverhältnisse für Spieler und Klubs zu gewährleisten, weil letztlich beide Seiten im schnelllebigen System daran interessiert sind, dass Verträge nicht willkürlich und zu jedwedem Zeitpunkt einseitig aufgelöst werden können. Konkret könnte dies durch die Erweiterung und Präzisierung von wichtigen Kündigungsgründen erfolgen, bei denen Spieler oder Klubs zur vorzeitigen Vertragsauflösung berechtigt wären. In diesem Konnex muss die Fifa aber jedenfalls Regelungen wie die verfahrensgegenständlichen vom Platz verweisen, die unklare oder willkürliche Strafdrohungen, Pauschalverurteilungen oder unverhältnismäßig lange Transfersperren vorsehen.
(Bernhard Schmidt, Maha Zöhrer, 14.10.2024)