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Der deutsche BGH (II ZR 85/23) hat sich jüngst mit der Frage auseinandergesetzt, wann in einer zweigliedrigen GmbH (GmbH mit zwei Gesellschaftern) ein einzelner Gesellschafter ohne vorangehende Beschlussfassung einen Rechtsstreit der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer einleiten kann und auch zur Vertretung der Gesellschaft (insbesondere zur Bestellung eines Prozessvertreters) berechtigt ist. Die Entscheidung ist auch für Österreich interessant.
Der klagende Minderheitsgesellschafter versuchte durch Gesellschafterbeschluss die Geltendmachung der Ansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer zu erwirken. Die durch die beklagten Geschäftsführer vertretene Mehrheitsgesellschafterin stimmte gegen eine Geltendmachung von Ansprüchen. Die Klägerin strengte eine actio pro socio an (Klage gegen die Geschäftsführer auf Leistung an die Gesellschaft).
Der BGH lehnte eine actio pro socio ab. Er setzte sich dabei mit der Frage auseinander, ob die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen ihre Geschäftsführer sowie die in diesem Zusammenhang beabsichtigte Bestellung eines Prozessvertreters einer vorangehenden Beschlussfassung bedürfen.
Nach dem BGH erübrigt sich ein Beschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen, wenn der andere Gesellschafter der zweigliedrigen GmbH einem Stimmverbot unterliegt. Die Beschlussfassung sei eine "überflüssige Formalität". Das betreffe auch die Beschlussfassung über die Bestellung eines Prozessvertreters.
Der Kläger als verbliebener stimmberechtigter Gesellschafter der zweigliedrigen GmbH ist daher unmittelbar zur Vertretung der Gesellschaft im Prozess oder zur Bestellung eines Prozessvertreters berechtigt. Damit schließt sich der BGH – entgegen gewichtiger Stimmen im Schrifttum – einer bislang vor allem vom OLG München vertretenen Ansicht an. Für die Minderheitsgesellschafter ist das angenehm: Das Prozesskostenrisiko trägt damit die (vertretene) Gesellschaft selbst.
In Österreich stellt sich die Rechtslage betreffend die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführung zwar etwas anders dar. Die in der Praxis auftretenden Probleme (Wie kann ein Minderheitsgesellschafter Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer einleiten?) sind aber dieselben.
Die Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer liegt in der Kompetenz der Generalversammlung (§ 35 Abs 1 Z 6 GmbHG). Das betrifft sowohl (i) die Geltendmachung von Ersatzansprüchen selbst (§ 35 Abs 1 Z 6 erster Fall GmbHG), als auch (ii) die Bestellung eines Prozessvertreters (§ 35 Abs 1 Z 6 zweiter Fall GmbHG). Anders als in Deutschland (§ 46 Z 8 dGmbHG) ist das eine zwingende Bestimmung (§ 35 Abs 2 GmbHG).
In der Praxis wird die beherrschende Mehrheit die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen "ihren" Geschäftsführer, insbesondere wenn der Mehrheitsgesellschafter selbst Geschäftsführer ist – trotz Vorliegen eines Stimmverbots bei der Beschlussfassung –, zu vereiteln versuchen.
In manchen Konstellationen ist eine Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer jedoch nicht erforderlich:
· Die Verfolgung von Rückforderungsansprüchen nach § 83 GmbHG bedarf keines vorausgehenden Gesellschafterbeschlusses. Gesellschafterbeschlüsse, die sich gegen die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs gesetzwidrig geleisteter Zahlungen richten, wären nichtig (OGH 6 Ob 72/16f).
· Zudem ist eine Beschlussfassung überall dort nicht erforderlich, wo eine Geltendmachung der Ansprüche aus Gläubigerschutzgründen notwendig ist (etwa in der Insolvenz).
· Auch ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung setzt einen Beschluss nicht voraus, weil dies mit dem Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes kollidieren würde (OGH 6 Ob 71/21s).
· Relevant im vorliegenden Zusammenhang: Eine Beschlussfassung ist auch nach dem OGH dann nicht erforderlich, wenn diese eine "bloße Formalität" darstellt (OGH 8 ObA 62/11t). Zur Frage, ob eine solche bloße Formalität auch bei Vorliegen eines Stimmverbots des Mehrheitsgesellschafters in der zweigliedrigen GmbH vorliegt, ist die Rechtsprechung in Österreich aber uneinheitlich (OGH 9 ObA 358/98g und 9 ObA 5/10s (referierend): kein Beschluss erforderlich; OGH 2 Ob 170/03v und 2 Ob 328/01a: Beschluss erforderlich).
Wird ein Beschluss zur Geltendmachung von Ansprüchen gefasst (§ 35 Abs 1 Z 6 erster Fall GmbHG) oder ist kein Beschluss erforderlich, liegt aber ein Vertretungsnotstand vor, muss zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen ein Prozessvertreter bestellt werden (§ 35 Abs 1 Z 6 zweiter Fall GmbHG).
Auch hier wird die beherrschende Mehrheit – trotz Vorliegen eines Stimmverbots bei der Beschlussfassung (OGH 6 Ob 130/05v) – die Beschlussfassung zu vereiteln versuchen.
Aus Sicht des Minderheitsgesellschafters stellt sich daher regelmäßig die Frage, wie Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer effizient – insbesondere ohne ein "vorgeschaltetes" Beschlussanfechtungsverfahren – eingeleitet werden können:
· Sowohl die Bestellung eines Notgeschäftsführers als auch jene eines Kollisionskurators haben zwar grundsätzlich subsidiären Charakter gegenüber gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen (insbesondere die Bestellung eines Prozessvertreters). Ist aber kein Beschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen erforderlich (siehe oben) oder wird trotz Beschluss zur Geltendmachung kein Prozessvertreter bestellt, kann ein (Minderheits-)Gesellschafter unter Umständen einen Notgeschäftsführer oder Kollisionskurator bestellen (OGH 6 Ob 71/19p).
· Wird die Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch Gesellschafterbeschluss abgelehnt, kann der (qualifizierte) (Minderheits-)Gesellschafter direkt gegen Geschäftsführer klagen (§ 48 GmbHG). Nachteil: volles Kostenrisiko des klagenden Minderheitsgesellschafters. Im deutschen Recht existiert keine vergleichbare Vorschrift.
Das österreichische Recht gibt den Minderheitsgesellschaftern Werkzeuge in die Hand, um Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer geltend zu machen. Nach dem BGH kann der Minderheitsgesellschafter in der zweigliedrigen GmbH diese bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen sogar selbst vertreten, wenn ein Beschluss bloß eine "überflüssige Formalität" ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn der andere Gesellschafter einem Stimmverbot unterliegen würde. Ob die Entscheidung des BGH auch Einfluss auf die bisher uneinheitliche Rechtsprechung des OGH hat, bleibt abzuwarten.
Autoren: Gabriel Ebner, Georg Steidl
Gabriel
Ebner
Attorney at Law
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