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11 Februar 2025
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EU-Gas-Wasserstoffpaket: Zur Parteistellung im Verfahren zur Stilllegung von Erdgasverteilernetzen nach der Gasbinnenmarktrichtlinie

Die Richtlinie (EU) 2024/1788 vom 13. Juni 2024 ("GasbinnenmarktRL; GBMRL") regelt als Teil des EU‑Gas- und Wasserstoffpakets erstmals den Gasausstieg der Netzbetreiber mittels Stilllegung von Gasnetzen. Art 57 GBMRL sieht vor, dass Gasverteilernetzbetreiber (Netz-)Stilllegungspläne ("NSP") erarbeiten müssen, wenn sich eine Verringerung der Erdgasnachfrage abzeichnet. Die zuständigen nationalen Behörden bewerten, ob die NSP für das Verteilernetz den in der GBMRL festgelegten Grundsätzen genügen.

Der genehmigte NSP ist Voraussetzung für die Anschlussverweigerung neuer Netzkunden bzw die Kündigung bestehender Kunden. Die RL definiert Voraussetzungen für die Trennung von Gasnetzanschlüssen, zB die Konsultation von Verbraucherverbänden oder die Vornahme von Schutzmaßnahmen für von Energiearmut betroffene und schutzbedürftige Kunden. Auch gibt die GBMRL vor, dass die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene für eine von einer Entscheidung der Regulierungsbehörde betroffene Partei geeignete Rechtsschutzmechanismen zu schaffen haben.

Wem Parteistellung im zukünftigen NSP-Genehmigungsverfahren zukommen soll, hängt davon ab, ob die Entscheidung über den NSP als Bescheid oder Verordnung ("VO") ergeht, wobei diese sowohl Merkmale einer VO als auch eines Bescheids aufweist. Sie wird zwar in erster Linie das jeweilige Gasverteilernetz zum Gegenstand haben, jedoch (mittelbar) auch die an das Gasnetz angeschlossenen Kunden, deren Verträge in Folge der Genehmigung gekündigt werden können und mögliche neue Kunden, die keinen Netzzugang bzw Netzanschluss erhalten, betreffen. Insofern könnte von einem Eingriff in subjektive Rechte der Netzkunden durch Genehmigung des NSP ausgegangen werden. Dass der Rechtsschutz gegen eine VO deutlich schlechter ist als jener gegen einen Bescheid, spricht für die Regelung der Entscheidung über den NSP als Bescheidverfahren, verknüpft doch der VfGH in seiner Rechtsprechung die Rechtsformwahl mit Fragen des Rechtsschutzes. Auch unionsrechtliche Argumente sprechen dafür: So sprach der EuGH iZm der Entscheidung der zuständigen ungarischen Regulierungsbehörde über die Änderung von Vorschriften eines Netzkodex aus, dass die in Art 5 VO (EU) 1775/2005 enthaltenen Grundsätze zusammengefasst so auszulegen seien, dass sie "Schutzmaßnahmen im Interesse jener Nutzer, die Zugang zum Netz erhalten möchten, darstellen [würden] und somit Rechte für diese begründen könn[t]en".  Nach dieser Entscheidung seien bereits potenzielle Nutzer von Netzinfrastruktureinrichtungen in ihren Rechten betroffen. Ähnlich gelagert ist die dem Eisenbahnregulierungsrecht entstammende Entscheidung EuGH C 489/15.  Demnach würden Entscheidungen "der Regulierungsstelle […] rechtliche Wirkungen für alle davon Betroffenen des Eisenbahnsektors, sowohl für die Verkehrsunternehmen als auch für die Betreiber der Infrastruktur" entfalten. Die Entscheidung wahre "den effektiven Schutz der Rechte der Zugangsberechtigten".  Auch in EuGH C 55/06 geht der EuGH auf den "Rechtsschutz Dritter" ein und betont, dass (auch) ein Begünstigter, der nicht Adressat einer Entscheidung (hier: der deutschen Bundesnetzagentur) ist, als "betroffene Partei" anzusehen und damit auch als bloßer "Dritter" rechtsschutzlegitimiert ist.

Zusammenfassung:

  • Die GBMRL garantiert umfassende Endkundenrechte sowie Verbraucherschutz. Insbesondere müssen die Betroffenen das Recht haben, die Entscheidung über einen NSP effektiv zu bekämpfen.
  • Die GBMRL regelt zwar die Kündigung von Netzkunden nicht unmittelbar, im Licht des Zwecks der RL, der letztlich die Stilllegung von bestehenden Erdgasverteilernetzen vorsieht, kann allerdings von einem Eingriff in subjektive Rechte der Netzkunden ausgegangen werden.
  • Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zu bemerken, dass die Entscheidung über einen NSP in Grundrechte, wie zB das Eigentumsrecht, erheblich eingreifen wird, weil diese Entscheidung Auswirkungen auf bestehende Vertragsverhältnisse haben wird.
  • Gegen eine allfällige Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch Genehmigungsentscheidung in VO-Form könnte ein Bescheidverfahren mit Parteistellung der Netzkunden Abhilfe schaffen. Dabei sprechen verfassungs- und unionsrechtliche Überlegungen für die Parteistellung der Endkunden neben den betroffenen Gasverteilernetzbetreibern.

Autoren: Marta Katarzyna Krzystek, Moritz Üblagger

Marta Katarzyna
Krzystek

Attorney at Law

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