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Anrede eines Kunden als "Herr" oder "Frau" stellt eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar.
Während es in angloamerikanischen Ländern teils politisch teils aufgrund von Gerichtsurteilen eher zu einer Abkehr von Diversität und LGBTQ+ Rechten kommt, sind die Entscheidungen des EuGH und des Bezirksgerichts Favoriten (!) deutlich progressiver. Im Vereinigten Königreich hat der Supreme Court erst am 16.04.2025 mit einem Urteil im Fall For Women Scotland Ltd v The Scottish Ministers aufhorchen lassen. Das Gericht entschied, dass der Begriff "Frau" im Equality Act 2010 rein auf das biologische Geschlecht abstellt und nicht etwa auch auf das erworbene Geschlecht einer Person durch den Gender Recognition Act 2004. Datenschutzbedenken wurden dort nicht geäußert.
Ganz anders im Falle einer Entscheidung des BG Favoriten (AZ: 39 C 273/25d):
Wie in vielen Branchen üblich, wurden die Kunden des betroffenen Versicherers mit "Herr" oder "Frau" in den an sie gerichteten Schreiben angesprochen.
Die klagende Versicherungsnehmer*in ersuchte mehrfach um eine geschlechtsneutrale Anrede. Nachdem dies vom Versicherer nicht umgesetzt wurde, klagte sie dies – gestützt auf die Entscheidung des EuGH C-394/23, Mousse – ein. Dies begründete sie damit, dass die ständige Verwendung einer unrichtigen Anrede in einer Weise, die nicht ihrer Geschlechtsidentität entspricht, die psychische Gesundheit und Lebensqualität der Versicherungsnehmer*in erheblich beeinträchtige.
Der EuGH hatte in der zuvor genannten Entscheidung festgehalten, dass die Anrede "Herr" oder "Frau" für die Vertragserfüllung im Allgemeinen nicht notwendig und deren Erfassung daher nicht DSGVO-konform ist. Im Anlassfall des EuGH war ein Unternehmen betroffen, welches Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr anbot. Der EuGH vertrat die Ansicht, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten hinsichtlich der Anrede der Kunden eines Transportunternehmens weder objektiv unerlässlich noch für die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags wesentlich ist.
Das BG Favoriten hat unter Berücksichtigung dieser EuGH-Entscheidung der betroffenen Versicherung aufgetragen, "die weitere Verwendung einer geschlechtsbezogenen Anrede sowie wort- und sinngleicher Inhalte gegenüber der klagenden Partei in einem elektronischen Kommunikationsnetz weltweit zu unterlassen".
Nachdem die nationalen Gerichte die Entscheidung des EuGH so auslegen, dass die Anrede als "Herr" oder "Frau" für die Erfüllung eines Vertrags (wohl in den meisten Fällen) nicht erforderlich ist, werden wir wohl künftig nicht mehr nur nicht mehr persönlich angesprochen werden, sondern stellt sich auch die Frage, ob überhaupt die Abfrage der Anrede in Antragsformularen noch zulässig ist – zumindest dann, wenn es für die Vertragserfüllung letztlich irrelevant ist.
Autorinnen: Manuela Zimmermann, Sara Khalil
Manuela
Zimmermann
Partner
austria vienna